Zwischen Sorgam und Fußpilz
Restday – willkommene Gelegenheit, sich ein wenig der Ausrichterstadt Chennai oder Madras (auch diese Bezeichnung political correct, aber hier nicht gepflegt, weil von den britischen Kolonialherren geprägt) zu nähern. Unser Liaison officer (der Kenner weiß, so nennt sich im internationalen Hockey der Betreuer) Siva ist als Rentner noch als Fremdenführer für deutsche Gruppen tätig. Er spricht nahezu perfekt deutsch, das er allein hier am Goethe-Institut gelernt hat und kennt seine Heimatstadt Chennai wie kein zweiter. So brachte er Indien und seine Lebensart vor allem über das Leben indischer Hockeyspieler den Junx näher. Hockey ist beileibe nicht mehr die Sportart Nr. 1 in Indien. Cricket bestimmt auch zur Zeit hier die Schlagzeilen. Am Sonntag gab es hier einen legendären neuen Weltrekord. Der Inder Sachin Tendulkar übertraf im fünftägigen Länderspiel gegen Sri Lanka einen anderen Inder (Sunil Gavaskar), der vor Jahrzehnten in Länderspielen 34 x mehr als 100 runs erreicht hatte. Nun also 35 und die indische Presse überschlägt sich seitdem, „epochal“, „greatest human achievement“.Der „The Hindu“, eine mehr als kompetente und normalerweise sehr sachliche Tageszeitung verglich diese Leistung mit der Sixtinischen Kapelle Michelangelos. Nur mit Cricket ist für den Inder heute im Sport professionell Geld zu verdienen und ein sozialer Aufstieg (bei allen Einschränkungen des Kastenwesens) möglich. Im Hockey winkt (immerhin) eine Dauerstellung bei Eisenbahn, Fluglinie oder großen Unternehmen.
Nur wenige können sich im Erwachsenenbereich leisten, Sport zu treiben. Die Gefahr, wegen einer Verletzung ungesichert zu sein und seine Arbeit zu verlieren, ist sehr groß. So gibt es in der 6-Millionen-Stadt Chennai (nach Kalkutta 15 Mio, Mumbai 12 Mio, Delhi 8 Mio) nur 30 Hockeyteams, die regelmäßig am Wettkampfbetrieb teilnehmen.
Unser erster Weg führte uns zu einem hinduistischen Tempel, der am heutigen Lichtertag von vielen Gläubigen besucht wurde, die hier um göttlichen Segen heischten und allerlei Rituale durchliefen. Wir durften die großflächige Tempelanlage nur barfuß aufsuchen. Da es gerade geregnet hatte, war der Untergrund alles andere als glatt und sauber, eher ein wenig matschig. Da hätten Sie mal unsere zimperlichen Wohlstandsjünglinge sehen sollten, wie sie sich scheuten, die Füße zu entblößen und ein wenig durch ein paar Pfützen zu spazieren. Wie kleine pingelige Erstklasslerinnen: „Igittigitt, richtiger Matsch!“ – Allen voran Matthias Witthaus, der sich nicht von seinen Krokodil-Schuhen trennen wollte und lieber des Tempelbesuchs entsagte. Er hat einiges verpasst. Im Anschluss daran Besuch der St.-Thomas-Kirche. Einer der beiden Kirchen auf diesem Globus, die über dem Grabmal eines Apostels erbaut worden sind (in Rom der Petersdom und eben die Kirche über dem Grab des 72 nC ermordeten Apostel Thomas (der ungläubige…), der 52 nC als Missionar nach Indien gekommen war. Fremdenführer Siva machte auf die Gemeinsamkeiten der Religionen und die Toleranz der hinduistischen aufmerksam, die nicht missionieren will: denn in allen Religionen wollen die Gläubigen in den Himmel (Sorgam) kommen, nur die Methoden sind verschieden. Und manchmal hindert die Angst vor Fußpilz daran. Direkt hinter der St-Thomas-Kirche die bengalische See und fast bis zur Kirche alles zerstört. Der Tsunami war auch hier zu spüren.
Zur Tempelanlage gehört auch eine Küche für die Armen, die hier täglich eine warme Mahlzeit erhalten. LO Siva ließ uns einen Blick in die Reis- und Suppentöpfe gewähren. Da rief ein kleiner, etwa vierjähriger Junge durch die offenen Wände Bernd Schöpf zu: „Hallo daddy!“ – Das letzte Mal waren wir im Februar 2001 in Chennai.
Bleiben Sie uns verbunden –
HockeyHerzlichst
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